Kinder in Deutschland sitzen zwar an denselben Schulbänken, doch ihre Bildungschancen unterscheiden sich oft gravierend. Wenn Lehrkräfte nicht individuell fördern, sondern früh stigmatisieren, entstehen aus Möglichkeiten Barrieren – mit langfristigen Folgen für Motivation, Leistung und gesellschaftliche Teilhabe. Viele Kinder scheitern nicht am Lernstoff, sondern an einem System, das sie nicht sieht.
Ungeachtet zahlreicher Reformen bleibt das deutsche Bildungssystem ein Ort tief verwurzelter Ungleichheit. Kinder mit erschwerten Startbedingungen erfahren häufig nicht Unterstützung, sondern subtile Vorurteile. Statt ihre Potenziale zu erkennen und gezielt zu stärken, werden sie vorschnell auf Defizite reduziert. Auf diese Weise verfestigt sich soziale Ungleichheit – lange bevor echte Chancengleichheit überhaupt möglich wäre.
Stigmatisierung statt Förderung: Wie Schulen systematisch Chancen verspielen
Der schulische Alltag in Deutschland ist zunehmend von einer impliziten Zwei-Klassen-Struktur geprägt. Anstatt Kinder individuell zu fördern und sie durch gezielte Motivation in eine chancengerechte Zukunft zu begleiten, erleben viele Schülerinnen und Schüler eine Einordnung, die weniger ihre Fähigkeiten als vielmehr ihre soziale Herkunft widerspiegelt.
Nicht selten entscheiden Kleidung, Sprachgebrauch oder familiärer Hintergrund darüber, mit welcher Haltung Lehrkräfte einem Kind begegnen. Wenn „die Nase nicht passt“, wird unbewusst Distanz aufgebaut – ein subtiler Mechanismus, der Teilhabe verhindert, statt sie zu ermöglichen. Diese Voreingenommenheit ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems: Laut der OECD-Studie Bildung auf einen Blick hängt der Bildungserfolg in Deutschland stärker vom sozioökonomischen Status ab als in den meisten anderen Ländern. Auch die PISA-Erhebungen belegen regelmäßig, dass Deutschland zu den OECD-Staaten gehört, in denen der Einfluss der sozialen Herkunft auf schulische Leistungen besonders hoch ist. Im Fach Mathematik etwa liegen Kinder aus benachteiligten Verhältnissen – insbesondere mit Migrationshintergrund – teils bis zu zwei Schuljahre hinter ihren Altersgenossen.
Diese Zahlen verdeutlichen: Die soziale Herkunft bleibt ein maßgeblicher Faktor für schulischen Erfolg – und das Bildungssystem verstärkt bestehende Ungleichheiten, statt ihnen entgegenzuwirken. Besonders gravierend wirkt sich dies auf das Selbstwirksamkeitsempfinden der betroffenen Kinder aus – also auf den Glauben, mit eigener Anstrengung schulische Erfolge erzielen zu können. Eine Studie des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation belegt, dass Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Haushalten ein signifikant geringeres Selbstwirksamkeitsempfinden entwickeln als Gleichaltrige aus privilegierten Milieus – mit entsprechenden Auswirkungen auf Lernmotivation und Leistung¹.
Der Bildungsforscher Prof. Dr. Olaf Köller bringt die strukturellen Defizite im System auf den Punkt:
„Wir haben seit zehn Jahren versäumt, uns um die zu kümmern, die es besonders schwer im System haben.“²
Diese Einschätzung verweist auf einen systematischen Mangel an individueller Förderung, insbesondere bei jenen Kindern, deren Bildungslaufbahn nicht durch familiäre Ressourcen gestützt wird. Schulen, die dieser Herausforderung nicht aktiv begegnen, reproduzieren bestehende Ungleichheiten – und verhindern damit echte Teilhabe von Anfang an.
¹ DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (2020): Bildungsbericht 2020 – Bildung in Deutschland. URL: https://www.bildungsbericht.de [abgerufen am 13. Mai 2025].
² Köller, Olaf: „Wir haben seit zehn Jahren versäumt, uns um die zu kümmern, die es besonders schwer im System haben.“ In: News4teachers.de, 17. Dezember 2023. URL: https://www.news4teachers.de/2024/12/schulsystem-in-der-krise-geht-der-leistungsanspruch-verloren-die-schuelerinnen-und-schueler-erleben-dass-sie-mit-weniger-durchkommen/ [abgerufen am 13. Mai 2025].
Motivationskrise im Lehrerzimmer: Wenn Haltung zur Bremse wird

Während öffentliche Debatten häufig um Bildungsstandards und Digitalisierung kreisen, bleibt ein zentrales Problem weitgehend unbeachtet: die fehlende intrinsische Motivation zahlreicher Lehrkräfte. Nicht selten wirken Lehrerinnen und Lehrer überfordert, abgestumpft oder schlicht desinteressiert – ein Zustand, der sich unweigerlich auf die Schülerinnen und Schüler überträgt.
Unterschiede im Engagement sind nicht zu übersehen: In ein und derselben Schule brillieren manche Klassen durch kreative Projekte, gute Leistungen und stabile Klassengemeinschaften – während andere Klassen im gleichen Jahrgang stagnieren. Anstatt dies im Kollegium aufzuarbeiten und die Ursachen im pädagogischen Handeln zu suchen, werden Schüler weiterhin als „Engel“ oder „Problemkinder“ etikettiert – ein Verhalten, das langfristig Frustration und schulischen Rückzug fördert.
Empirische Studien belegen den engen Zusammenhang zwischen der Motivation der Lehrkräfte und dem Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Die COACTIV-Studie, durchgeführt unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, zeigt, dass neben fachlichem und fachdidaktischem Wissen auch die Begeisterung der Lehrkraft für das Unterrichten entscheidende Auswirkungen auf die Lernleistungen hat. Lehrkräfte, die hoch motiviert sind und sich um den Lernfortschritt ihrer Schülerinnen und Schüler sorgen, steigern deren Motivation und somit die Leistung.
Zudem weist die Aldrup-Studie von 2018 darauf hin, dass ein gutes Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern nicht nur den Lernerfolg der Kinder fördert, sondern auch das Wohlbefinden und die Motivation der Lehrkräfte selbst positiv beeinflusst. Wenn die Kinder unmotiviert und undiszipliniert sind, steigert dies die emotionale Erschöpfung der Lehrkraft.
Diese Befunde verdeutlichen, dass die Haltung und Motivation der Lehrkräfte zentrale Faktoren für den Bildungserfolg sind. Ein systematischer Mangel an individueller Förderung und eine fehlende Reflexion im Kollegium tragen dazu bei, dass bestehende Ungleichheiten reproduziert werden und echte Teilhabe von Anfang an verhindert wird.
Psychosoziale Folgen: Kinder als Spiegel gesellschaftlicher Fehlentwicklungen

Diese Form der frühzeitigen Etikettierung wirkt sich nachhaltig auf das Selbstbild und die Bildungsbiografie junger Menschen aus. Wer bereits in der Grundschule als „schwierig“ gilt, trägt diese Zuschreibung oft über Jahre hinweg – unabhängig von tatsächlichen Fähigkeiten oder Entwicklungspotenzialen. Die Einteilung in „leistungsstark“ und „leistungsschwach“ fördert nicht etwa Entwicklung, sie blockiert sie – und zementiert soziale Unterschiede.
Zahlreiche Studien belegen, dass Erwartungshaltungen von Lehrkräften einen signifikanten Einfluss auf die Leistung von Schüler:innen haben. Die sogenannte Pygmalion-Studie (Rosenthal & Jacobson, 1968) zeigte erstmals, dass positive Erwartungen die Lernleistungen von Kindern messbar steigern können – ein Phänomen, das auch als self-fulfilling prophecy bezeichnet wird. Wird einem Kind hingegen signalisiert, dass wenig von ihm erwartet wird, sinkt die Motivation – und damit auch die tatsächliche Leistung.
Aktuelle Bildungsforschung bestätigt die Langzeitwirkung dieser Effekte: Laut einer Studie der Universität Mannheim (2021) beeinflusst die wahrgenommene Bewertung durch Lehrkräfte maßgeblich das Selbstwirksamkeitsempfinden, die schulische Ausdauer und das langfristige Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Kinder, die sich nicht gesehen oder abgewertet fühlen, ziehen sich häufig emotional vom Schulalltag zurück – was sich in sinkenden Leistungen, Schulvermeidung oder psychischen Belastungssymptomen äußert.
Besonders gefährdet sind laut dem Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (2023) Schüler:innen mit Migrationsgeschichte oder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Sie erleben signifikant häufiger schulische Ausgrenzung, niedrigere Lehrerzuwendung und eine geringere Förderung individueller Potenziale. Dies verstärkt nicht nur Bildungsungleichheit, sondern wirkt als psychosozialer Risikofaktor in der gesamten Persönlichkeitsentwicklung.
Kinder spiegeln in ihrem Verhalten das, was ihnen die Gesellschaft zutraut – oder eben nicht. Ein Bildungssystem, das strukturell dazu beiträgt, Selbstzweifel zu säen statt Selbstvertrauen zu fördern, verfehlt seinen gesellschaftlichen Auftrag. Die Folgen zeigen sich nicht nur im Klassenzimmer, sondern später auch auf dem Arbeitsmarkt, im sozialen Verhalten und im gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Bildungsstudien bestätigen: Soziale Herkunft beeinflusst den Lernerfolg
Empirische Daten belegen, dass der Bildungserfolg in Deutschland stark vom sozioökonomischen Hintergrund abhängt. Laut der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2024“ ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland stärker ausgeprägt als in vielen anderen OECD-Ländern.
Die PISA-Studie 2022 zeigt, dass Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in Mathematik durchschnittlich 93 Punkte weniger erreichen als ihre Mitschüler aus privilegierten Haushalten. Dieser Unterschied entspricht etwa drei Schuljahren.
Zudem erhalten nur 32 % der Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien eine Gymnasialempfehlung, während es bei Kindern aus privilegierten Haushalten 78 % sind. (DIE WELT)
Diese Daten verdeutlichen, dass die soziale Herkunft in Deutschland einen erheblichen Einfluss auf den Bildungserfolg hat. Statt als ausgleichender Faktor fungiert das Bildungssystem oft als Verstärker bestehender sozialer Ungleichheiten.
Es geht auch anders: Schulen, die echte Teilhabe ermöglichen

Trotz der strukturellen Herausforderungen im deutschen Bildungssystem existieren Schulen und Programme, die durch gezielte Maßnahmen Bildungsgerechtigkeit fördern und soziale Barrieren abbauen. Diese Einrichtungen setzen auf partizipative Lernkonzepte, interkulturelle Kompetenzförderung und Mentoring-Programme, um Schülerinnen und Schüler individuell zu unterstützen.
Ein herausragendes Beispiel ist das Mentoringprogramm „Balu und Du“, das sich an Grundschulkinder aus benachteiligten Verhältnissen richtet. In diesem Programm begleiten junge Erwachsene (Mentoren) ein Jahr lang wöchentlich ein Kind (Mentee) und fördern es durch gemeinsame Freizeitaktivitäten. Studien belegen, dass Mentees nach der Teilnahme eine um 11 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit haben, ein Gymnasium zu besuchen. Zudem zeigen sie verbesserte Konzentrationsfähigkeit, erhöhte Motivation und eine gestärkte Resilienz. (Wikipedia)
Ein weiteres erfolgreiches Programm ist „Respekt Coaches“, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es zielt darauf ab, ein respektvolles Miteinander an Schulen zu fördern und Extremismus sowie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorzubeugen. Durch interaktive Gruppenangebote und sozialpädagogische Begleitung lernen Schülerinnen und Schüler, unterschiedliche Auffassungen zu respektieren und ihre interkulturellen Kompetenzen zu stärken. Das Programm wird bundesweit an 276 Standorten umgesetzt. (Wikipedia)
Diese Beispiele zeigen, dass durch gezielte Förderung und partizipative Ansätze die Motivation und der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern gesteigert werden können. Lehrkräfte, die als Begleiter statt als Richter auftreten, schaffen ein Umfeld, in dem individuelle Potenziale erkannt und gefördert werden.
Bildung braucht Haltung – und den Mut zur Veränderung
Das deutsche Schulsystem steht vor einer tiefgreifenden Herausforderung: Es bewertet, bevor es begleitet – und sortiert, bevor es fördert. Statt Kindern unabhängig von Herkunft, Aussehen oder sozialem Hintergrund echte Chancen zu bieten, verfestigen sich Strukturen, die Ausgrenzung begünstigen und Potenziale ungenutzt lassen. Lehrkräfte, die unbewusst stigmatisieren oder aus Erschöpfung resignieren, werden so zu einem Faktor, der Bildung eher verhindert als ermöglicht.
Doch es gibt Alternativen: Schulen, die individuelle Förderung ernst nehmen, partizipative Lernmodelle umsetzen und soziale Kompetenz gleichwertig mit Fachwissen behandeln, schaffen Räume echter Teilhabe. Sie beweisen, dass Motivation keine Frage des Milieus, sondern der pädagogischen Haltung ist.
Ein gerechtes Bildungssystem beginnt nicht mit neuen Lehrplänen, sondern mit der Frage, wie wir Kinder sehen – und welche Erwartungen wir ihnen zutrauen. Bildung darf nicht länger reproduzieren, was die Gesellschaft trennt, sondern muss gestalten, was sie verbindet: Vertrauen, Anerkennung und die Überzeugung, dass jedes Kind das Recht auf Entwicklung hat – unabhängig von Startbedingungen.
Weiterführende Hinweise:
- Mehr zum Thema Bildungsungleichheit in Deutschland finden Sie im Nationalen Bildungsbericht 2022
- Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Lehrer-Schüler-Verhältnis bietet das Dossier des Deutschen Schulportals: www.deutsches-schulportal.de
- Informationen zu erfolgreichen Schulmodellen liefert die Bertelsmann Stiftung
Pressekontaktdaten:
PrNews24
Franz-Lenze-Platz 63-65
47178 Duisburg
E-Mail: kontakt@prnews24.com
Web: https://www.prnews24.com
Kurzzusammenfassung:
Das deutsche Bildungssystem verfehlt vielfach seinen Anspruch auf Chancengleichheit – soziale Herkunft beeinflusst nachweislich den Lernerfolg. Fehlende Motivation im Lehrkörper, stereotype Zuschreibungen und ein Mangel an individueller Förderung verstärken die Ungleichheit. Doch es gibt Gegenbeispiele: Schulen, die auf partizipative Konzepte und persönliche Begleitung setzen, schaffen echte Lernräume für alle. Der Schlüssel liegt in einer Haltung, die nicht bewertet, sondern befähigt.